Barbara Mundel über ihre finale Spielzeit, große Fragen und heftige Kontroversen
Sie geht in ihre elfte, ihre letzte Spielzeit, Barbara Mundel. Die Intendantin des Freiburger Stadttheaters im Gespräch mit den cultur.zeit-Redakteuren Lars Bargmann und Till Neumann.
cultur.zeit: „Jetzt geht’s los“, steht auf dem Programmbuch zur neuen Spielzeit. Und drunter steht ein wenig startklares Auto. Warum ist das die Headline? Sie gehen doch schon in ihre elfte Saison…
Mundel: Das ist ja ein bisschen ironisch gemeint, wir spielen mit dem Slogan, wir spielen ja auch mit dem Auto. Wir wollen aber trotzdem ganz ernst sagen, dass es noch einmal eine sehr kräftige letzte Saison werden wird.
cultur.zeit: Das Programm beschäftigt sich intensiv mit der Frage nach Europa. Kaum war es fertig, kam der Brexit…
Mundel: Das hat dem ganzen Programm noch mal eine neue, drängende Facette gegeben, aber Europa ist auch ohne Brexit ein spannendes Thema. Was sind die Stärken, was die Schwächen Europas? Mit „Eurotopia“ haben wir ein Herzstück zu dem Thema in die Mitte der Spielzeit gesetzt. Acht Künstler aus Belgien, der Türkei, aus Deutschland, der Schweiz und dem Kongo werden komplett unterschiedliche Blick auf Europa werfen.
cultur.zeit: Mit welchem Ziel?
Mundel: Wir wollen neue Perspektiven auf einen erhärteten Diskurs werfen, aber auch versuchen, das Herz zu weiten, wieder bereit zu sein, Empathie zu empfinden, Bewegung in die Herzen und Hirne bringen. Wenn uns das gelingt, ist das viel.
cultur.zeit: Neben Europa kreist der Spielplan auch um Macht, Gewalt, Unterwerfung, Religion. Das kleine Freiburger Theater und die großen Themen…
Mundel: …ich finde, dass es eine Aufgabe von Theater ist, die großen Themen immer wieder neu zu besprechen. Nach außen, aber auch nach innen. „Unterwerfung“ von Houellebecq ist ein Beispiel dafür. Da geht es ja auch um Europa, aber auch um uns selbst. Den Text kann man durchaus als große Persiflage auf uns lesen. Ein Text, der auch innerhalb des Ensembles zu heftigen Diskussionen führt. Und genau das ist gut.
cultur.zeit: Neben dem Besetzen von großen Themen ist ein zweites Charakteristikum ihrer Intendanz, immer wieder zu diskutieren, welche Rolle das Theater selbst in der Stadt, für die Stadt spielt. Warum ist das so wichtig?
Mundel: Wir sind ein öffentlich gefördertes Haus, dann müssen wir uns auch fragen, wen in der Stadt erreichen wir eigentlich und können wir mit immer mehr Menschen in einen Dialog kommen? Ich finde, dieser Dialog ist für das Theater, aber für allen für unsere Gesellschaft wichtig.
cultur.zeit: Es gab vor zehn Jahren eine kernige Debatte darüber, ob es in Ordnung ist, dass das Stadttheater viele Millionen vom Rathaus bekommt, aber nur zwei Prozent der Bevölkerung erreicht. Hören Sie das heute auch noch?
Mundel: Damals war die Debatte sehr verhärtet und die Stimmung drohte zu kippen. Das nehme ich heute sehr anders wahr. Ich bin aber auch realistisch: Wenn die Verteilungskämpfe wieder härter würden, dann würde sich erweisen, wo wir heute stehen. Wenn sich der Gedanke durchsetzt, dass der Mensch nur homo oeconomicus ist, haben künstlerische Orte wie das Theater keine Chance. Ich habe aber das Gefühl, dass das Bedürfnis nach Orten wie Theater, Bibliotheken, Museen wieder steigt.
cultur.zeit: Das Theater hat sich im vergangenen Jahrzehnt sehr geöffnet. Um neues Publikum zu gewinnen?
Mundel: Es ist vor allen Dingen ein künstlerisches Konzept. Wir haben viel ausprobiert, viel mit Schulen in Stadtteilen gemacht, viele Netzwerke gesponnen. Wir haben viel Kompetenz im Haus gewonnen, das ist wunderbar. Natürlich freuen wir uns, wenn unser künstlerisches Konzept in und mit den Stadtteilen zu arbeiten (z.B. Finkenschlag) dann auch das Publikum ins Theater bringt.
cultur.zeit: Das im Frühsommer 2017 mit den ersten Festspielen in Weingarten sein vorläufiges Finale findet. Frage umformulieren- hat zu der geänderten Antwort keinen Bezug mehr!
Mundel: In Weingarten waren wir ja noch nie. Wenn wir noch einen Förderantrag bewilligt bekommen, wird daraus sogar ein Dreijahresprojekt, und wir spannen den Bogen zum Rieselfeld. Wir wollen das Projekt dann am Mittsommernachtstisch auch wieder ins Zentrum holen und haben noch zwei Abende im Großen Haus reserviert.
cultur.zeit: Eine Verbindung von innen und außen sollte die Passage 46 sein. Das war mehr Tragödie als Lustspiel…
Mundel: Wir haben Fehler gemacht, ohne Zweifel, aber wir kommen mit einem hellblauen Auge davon. Die Passage stellt eine komplexe Situation dar, eine Schnittstelle zwischen Publikumsfoyer für zwei Spielstätten, selbst ein Veranstaltungs- und Gastronomieraum.
cultur.zeit: Wie geht es weiter?
Mundel: Wir werden die Passage 46 jetzt nicht wieder verpachten, sondern verschiedene Formate testen. Was funktioniert in dem Raum, was nicht. Dann kann Peter Carp (Mundels designierter Nachfolger, d. Red.) eine fundierte Entscheidung treffen.
cultur.zeit: Auch nach draußen, ins Museum für Neue Kunst (MNK) geht’s beim Projekt „Depot Erbe“. Museen sind Bewahrer, Theater eher nicht. Wie passt das zusammen?
Mundel: Wir kooperieren schon lange. Theater ist eine der vergänglichsten Kunstformen, es gibt Versuche der Konservierung und Archivierung. Jetzt hatte die Bundeskulturstiftung den Tanzfonds Erbe ausgeschrieben. Kann man etwa Pina Bauschs Choreographien bewahren, soll man sie überhaupt bewahren? Wir schicken Künstler in ein Museum, das sich ja viel stärker mit dem Sammeln, mit dem Erbe auseinandersetzt. Die Künstler werden im Museum arbeiten. Wir werden uns dabei auf vielen Ebenen mit dem Thema Erbe auseinandersetzen. Was, zum Beispiel, ist das europäische Erbe?
cultur.zeit: Was ist Mundels Erbe?
Mundel: Eine schwere Frage. Vielleicht habe ich den Blick auf die Möglichkeiten von Stadttheater erweitert.
cultur.zeit: Andreas Liebmann will im Stück „Weltveränderer“ Ihre Intendanz Revue passieren lassen. Inwiefern Sind Sie da selbst mit eingebunden?
Mundel: Liebmann hat lange mit mir geredet und dabei sehr spezifisch auch nach den Projekten gefragt, die wir mit der Uni gemacht haben. Wir haben immer wieder gesellschaftliche Debatten aufgegriffen, die heute schon in anderem Kontext stehen als damals. Wir haben da, glaube ich, vieles vorausgeahnt. Was er aber daraus machen wird, weiß ich noch nicht.
cultur.zeit: Auf die Frage nach Ihrem Lieblingsprojekt der Spielzeit bekommen wir keine Antwort?
Mundel: Ich bin stolz darauf, dass das ein sehr konsequenter Spielplan ist. Und, das Eurotopia-Projekt ist eine tolle Herausforderung.
cultur.zeit: Sie werden bei der Aschenputtel-Oper „Cendrillon“, dirigiert von Fabrice Bollon, auch mal wieder selber Regie führen, warum? Wegen der letzten Spielzeit?
Mundel: Ja, sonst hätte ich das nicht gemacht. Ich wollte das während der Intendanz nicht vermischen. Aber nun ist es die letzte Spielzeit und auch noch die vorletzte Produktion. Eine Märchenoper. Es ist aber nicht die bekannte Aschenputtel-Geschichte, sondern eine ganz eigene Geschichte, eine sehr eigene Version. Vielleicht hat mich gereizt, dass es da viele Elfen und Geister gibt, die einem zur Hilfe eilen (lacht).
cultur.zeit: Frau Mundel, vielen Dank für dieses Gespräch.